Regel des Hl. Benedikt
Einsetzung und Dienst des Abtes
Bei der Einsetzung des Abtes soll man stets so verfahren: Es werde der bestellt, den die ganze Gemeinschaft einmütig in Gottesfurcht gewählt hat oder ein noch so kleiner Teil in besserer Einsicht.
Entscheidend für die Wahl und Einsetzung seien Bewährung im Leben und Weisheit in der Lehre, mag einer in der Rangordnung der Gemeinschaft auch der Letzte sein. Es kann sogar vorkommen, was ferne sei, dass die Gemeinschaft einmütig jemanden wählt, der mit ihrem sündhaften Leben einverstanden ist. Kommen etwa solche Missstände dem Bischof der betreffenden Diözese zur Kenntnis oder erfahren die Äbte oder Christen der Nachbarschaft davon, so sollen sie verhindern, dass sich die Absprache der verkommenen Mönche durchsetzt; vielmehr sollen sie für das Haus Gottes einen würdigen Verwalter bestellen. Sie dürfen wissen: Wenn sie sich von reiner Absicht und vom Eifer für Gott leiten lassen, werden sie dafür reichlich belohnt, andererseits machen sie sich schuldig, wenn sie es versäumen.
Der eingesetzte Abt bedenke aber stets, welche Bürde er auf sich genommen hat und wem er Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen muss. Er wisse, dass er mehr helfen als herrschen soll. Er muss daher das göttliche Gesetz genau kennen, damit er Bescheid weiß und einen Schatz hat, aus dem er Neues und Altes hervorholen kann. Er sei selbstlos, nüchtern und barmherzig. (Mt 13,52; 1Tim 3,2) Immer gehe ihm Barmherzigkeit über strenges Gericht, damit er selbst gleiches erfahre. (Jak 2,13)
Er hasse die Fehler, er liebe die Brüder. Muss er aber zurechtweisen, handle er klug und gehe nicht zu weit; sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er den Rost allzu kräftig auskratzen will. Stets rechne er mit seiner eigenen Gebrechlichkeit. Er denke daran, dass man das geknickte Rohr nicht zerbrechen darf. (Jes 42,3) Damit wollen wir nicht sagen, er dürfe Fehler wuchern lassen, vielmehr schneide er sie klug und liebevoll weg, wie es seiner Ansicht nach jedem weiterhilft; wir sprachen schon davon.
Er suche mehr geliebt als gefürchtet zu werden. Er sei nicht stürmisch und nicht ängstlich, nicht maßlos und nicht engstirnig, nicht eifersüchtig und allzu argwöhnisch, sonst kommt er nie zur Ruhe. In seinen Befehlen sei er vorausschauend und besonnen. Bei geistlichen wie bei weltlichen Aufträgen unterscheide er genau und halte Maß.
Er denke an die maßvolle Unterscheidung des heiligen Jakob, der sprach: „Wenn ich meine Herden unterwegs überanstrenge, werden alle an einem Tage zugrunde gehen.“ (Gen 33,13) Diese und andere Zeugnisse maßvoller Unterscheidung, der Mutter aller Tugenden, beherzige er.
So halte er in allem Maß, damit die Starken finden, wonach sie verlangen, und die Schwachen nicht davonlaufen.
Besonders wahre er in allem die vorliegende Regel. Hat er seinen Dienst gut verrichtet, dann darf er vom Herrn hören, was für den guten Knecht gilt, der seinen Mitknechten den Weizen zu rechten Zeit gegeben hat: „Amen, ich sage euch, er wird ihn zum Verwalter seines ganzen Vermögens bestellen.“ (Mt 24,47)