Regel des Hl. Benedikt
Der Prior des Klosters
Zu oft schon sind durch Einsetzung eines Priors schwere Streitigkeiten in den Klöstern entstanden. Vom bösen Geist des Stolzes aufgebläht, bilden sich manche ein, zweite Äbte zu sein; sie reißen die Herrschaft über andere an sich, sie schüren Ärger und Streit, sie stiften Zwietracht in ihren Gemeinschaften. Das geschieht vor allem dort, wo derselbe Bischof und die selben Äbte, die den Abt einsetzen, auch den Prior einsetzen. Wie verkehrt das ist, lässt sich leicht einsehen; denn schon vom Tage seiner Einsetzung an wird dem Prior Anlass zum Stolz gegeben. Seine Gedanken flüstern ihm nämlich ein, er sei der Autorität seines Abtes entzogen, weil er von denselben eingesetzt sei wie der Abt. Daraus entstehen Neid, Streit, Verleumdung, Eifersucht, Zwietracht und Unordnung.
Wenn Abt und Prior gegeneinander stehen, bringt diese Zwietracht ihre Seelen zwangsläufig in Gefahr, und auch ihre Untergebenen laufen ins Verderben, wenn sie den Parteien schmeicheln. Die Hauptverantwortung für diesen gefährlichen Missstand trifft jene, die eine solche Unordnung verursacht haben.
Daher halten wir es zur Wahrung des Friedens und der Liebe für angebracht, dass der Abt die Ämter in seinem Kloster nach eigenem Ermessen besetzt. Wenn möglich sollen Dekane alle Belange des Klosters nach den Weisungen des Abtes regeln, wie wir schon früher bestimmt haben. Sind mehrere beauftragt, kann ein einzelner nicht stolz werden.
Erfordern es aber die örtlichen Verhältnisse oder äußert die Gemeinschaft begründet und mit Demut die Bitte und hält es der Abt für gut, wähle er mit dem Rat gottesfürchtiger Brüder einen aus und setze ihn selber als seinen Prior ein. Der Prior führe in Ehrfurcht aus, was ihm sein Abt aufträgt; er tue nichts gegen den Willen oder die Anordnung des Abtes. Denn je höher er über die anderen gestellt ist, um so sorgfältiger muss er die Weisungen der Regel beobachten.
Stellt sich heraus, dass der Prior voller Fehler ist oder, vom Hochmut betört, sich Stolz überhebt oder nachweislich die heilige Regel verachtet, werde er bis zu viermal mit Worten zurechtgewiesen. Bessert er sich nicht, treffe ihn die von der Regel vorgesehene Strafe. Ändert er sich auch so nicht, werde er seines Amtes als Prior enthoben, und ein anderer, der geeignet ist, soll an seine Stelle treten. Ist er auch danach in der Gemeinschaft nicht ruhig und gehorsam, werde er sogar aus dem Kloster gestoßen.
Doch bedenke der Abt, dass er über alle seine Entscheidungen vor Gott Rechenschaft ablegen muss, damit nicht die Flamme des Neids oder der Eifersucht seine Seele verzehrt.