Wunder des Hl. Benedikt
Die kosmische Vision
Buch der Dialoge, Kapitel 35
Wieder einmal war der Diakon Servandus nach seiner Gewohnheit bei Benedikt zu Besuch. Servandus war auch Abt des Klosters, das in Kampanien von dem ehemaligen Patrizier Liberius erbaut worden war, und kam oft zum Kloster Benedikts; denn auch er war erfüllt von göttlicher Weisheit und Gnade. Sie sprachen dann über das Glück des ewigen Lebens und erbauten sich gegenseitig. Wenn sie auch in diesem Leben die köstliche Speise der himmlischen Heimat noch nicht in vollendeter Freude genießen konnten, so wollten sie doch wenigstens in ihrer Sehnsucht davon kosten.
Es wurde Zeit, zur Ruhe zu gehen. Der heilige Benedikt legte sich im oberen Teil des Turmes nieder, der Diakon Servandus im unteren. In diesem Turm führte eine gerade Stiege von unten nach oben. Vor dem Turm befand sich ein größeres Gebäude, wo ihre Schüler ruhten.
Während die Brüder noch schliefen, stand der Mann Gottes Benedikt schon vor der Zeit des nächtlichen Gebetes auf und hielt Nachtwache. Er stand am Fenster und flehte zum allmächtigen Gott. Während er mitten in dunkler Nacht hinausschaute, sah er plötzlich ein Licht, das sich von oben her ergoss und alle Finsternis der Nacht vertrieb. Es wurde so hell, dass dieses Licht, das in der Finsternis aufstrahlte, die Helligkeit des Tages übertraf.
Etwas ganz Wunderbares ereignete sich in dieser Schau, wie er später selbst erzählte: Die ganze Welt wurde ihm vor Augen geführt, wie in einem einzigen Sonnenstrahl gesammelt.
Während der ehrwürdige Vater den Blick unverwandt auf den strahlenden Glanz dieses Lichtes gerichtet hielt, sah er, wie Engel die Seele des Bischofs Germanus von Capua in einer feurigen Kugel zum Himmel trugen.
Für dieses große Wunder wollte Benedikt einen Zeugen haben. Darum rief er den Diakon Servandus zwei- oder dreimal ganz laut beim Namen. Der erschrak über das laute Rufen, das er von diesem Mann nicht gewohnt war, stieg hinauf, schaute hin und sah nur noch einen Schimmer des Lichtes. Sprachlos stand er vor diesem Wunder; da erzählte ihm der Mann Gottes ganz genau, was geschehen war.
Sogleich ließ Benedikt dem gottgeweihten Mann Theoprobus im Ort Casinum ausrichten, er möge noch in der Nacht einen Boten in die Stadt Capua senden. Er solle in Erfahrung bringen, wie es um den Bischof Germanus stehe, und ihm Nachricht geben. So geschah es. Der Bote erfuhr, dass der hochwürdige Bischof Germanus schon gestorben war. Auf genauere Nachfrage fand er heraus, dass sein Heimgang im gleichen Augenblick erfolgt war, in dem der Mann Gottes seinen Aufstieg zum Himmel geschaut hatte.
Über die Erleuchtung
PETRUS: Wunderbar und ganz erstaunlich! Was du da gesagt hast, daß Benedikt die ganze Welt wie in einem einzigen Sonnenstrahl gesammelt vor Augen haben durfte, das habe ich noch nie erlebt und kann es mir auch nicht vorstellen. Wie könnte denn jemals ein Mensch die Welt als ganze schauen?
GREGOR: Halte fest, was ich sage, Petrus! Wenn die Seele ihren Schöpfer schaut, wird ihr die ganze Schöpfung zu eng. Hat sie auch nur ein wenig vom Licht des Schöpfers erblickt, wird ihr alles Geschaffene verschwindend klein. Denn im Licht innerer Schau öffnet sich der Grund des Herzens, weitet sich in Gott und wird so über das Weltall erhoben. Die Seele des Schauenden wird über sich selbst hinausgehoben. Wenn das Licht Gottes sie über sich selbst hinausreißt, wird sie in ihrem Inneren ganz weit; wenn sie von oben hinabschaut, kann sie ermessen, wie klein das ist, was ihr unten unermesslich schien.
Der Mann Gottes, der die Feuerkugel sah und die Engel, die zum Himmel zurückkehrten, konnte dies ganz gewiss nur im Licht Gottes erkennen. Ist es erstaunlich, dass er die ganze Welt vor sich sah, da er durch die Erleuchtung des Herzens über die Welt hinausgehoben war?
Wenn er aber, wie gesagt, die ganze Welt als eine Einheit vor sich sah, so wurden nicht Himmel und Erde eng, sondern die Seele des Schauenden weit; in Gott entrückt, konnte er ohne Schwierigkeit alles schauen, was geringer ist als Gott. In dem Licht, das seinen Augen aufleuchtete, erstrahlte in seinem Herzen ein inneres Licht. Weil dieses seinen Geist in den Himmel entrückte, zeigte es ihm, wie eng alles Irdische ist.
PETRUS: Es war wohl zu meinem Vorteil, dass ich nicht gleich verstand, was du damit sagen wolltest. Denn nur aus meiner Schwerfälligkeit erwuchs deine Erklärung. jetzt hast du es mir ganz deutlich nahegebracht. Erzähle bitte weiter!
Die Regel für Mönche
Buch II der Dialoge, Kapitel 36
GREGOR: Gern würde ich dir noch vieles von diesem ehrwürdigen Vater erzählen, Petrus, doch einiges übergehe ich bewusst, weil es mich drängt, auch die Taten anderer zu schildern.
Das aber soll dir nicht entgehen: Nicht nur die zahlreichen Wunder des Gottesmannes wurden in der Welt berühmt, sondern auch das Wort seiner Lehre strahlte hell auf. Er schrieb eine Regel für Mönche, ausgezeichnet durch maßvolle Unterscheidung und wegweisend durch ihr klares Wort.
Wer sein Wesen und sein Leben genauer kennen lernen will, kann in den Weisungen dieser Regel alles finden, was er als Meister vorgelebt hat: Der heilige Mann konnte gar nicht anders lehren, als er lebte.
Der Tod des heiligen Benedikt
Buch II der Dialoge, Kapitel 37
Das Jahr, in dem Benedikt aus dem Leben scheiden sollte, war gekommen. Da sagte er einigen Jüngern im Kloster und einigen in der Ferne den Tag seines heiligen Todes voraus. Die bel’ihm lebten, wies er an, über das Gehörte zu schweigen, die Abwesenden wies er auf ein bestimmtes Zeichen hin, das sie empfangen sollten, wenn seine Seele aus dem Leib scheiden werde.
Sechs Tage vor seinem Tod ließ er sein Grab öffnen. Bald darauf befiel ihn hohes Fieber, und große Hitze schwächte ihn. Von Tag zu Tag verfielen zunehmend seine Kräfte.
Am sechsten Tag ließ er sich von seinen Jüngern in die Kirche tragen; dort stärkte er sich durch den Empfang des Leibes und Blutes unseres Herrn für seinen Tod. Er ließ seine geschwächten Glieder von den Händen seiner Schüler stützen, so stand er da, die Hände zum Himmel erhoben, und hauchte unter Worten des Gebetes seinen Geist aus.
An diesem Tag empfingen zwei seiner Brüder eine Offenbarung durch ein und dieselbe Schau; der eine hielt sich im Kloster auf, der andere lebte weiter entfernt. Sie sahen, wie eine Straße von seinem Kloster genau in östlicher Richtung bis zum Himmel reichte; sie war mit Teppichen ausgelegt und von zahllosen Lampen erleuchtet. Oben stand strahlend ein Mann von ehrfurchtgebietendem Aussehen und fragte sie, für wen dieser Weg sei, den sie sahen. Sie gaben zu, sie wüssten es nicht. Da sagte er zu ihnen: »Dies ist der Weg, auf dem Benedikt, den der Herr liebte, zum Himmel emporsteigt.« Somit sahen die jünger, die zugegen waren, den Heimgang des heiligen Mannes mit eigenen Augen, die abwesenden erkannten ihn aus dem Zeichen, das Benedikt ihnen vorhergesagt hatte.
Er wurde im Oratorium des heiligen Johannes begraben, das er selbst nach der Zerstörung des Apolloaltars erbaut hatte.
Das Wunder in Subiaco
Buch II der Dialoge, Kapitel 38
Benedikt wirkt auch in der Höhle, die er früher in Subiaco bewohnt hat, noch jetzt herrliche Wunder, wenn der Glaube der Hilfesuchenden es verlangt. Erst kürzlich ist geschehen, was ich erzählen will.
Eine geistesgestörte Frau, die ganz von Sinnen war, schweifte über Berg und Tal, durch Wälder und Felder bei Tag und bei Nacht und ruhte nur, wenn die Müdigkeit sie dazu zwang. Eines Tages war sie sehr unruhig, verirrte sich und kam, ohne es zu merken, zur Höhle des heiligen Mannes, des Vaters Benedikt; sie trat ein und blieb dort. Am anderen Morgen verließ sie die Höhle geheilt; sie war so klar bei Sinnen, als wäre sie nie vom Wahnsinn befallen gewesen. Zeit ihres Lebens blieb ihr die Gesundheit erhalten, die sie dort wieder erlangt hatte.