Papst Gregor erzählt
Die Anfeindung
Buch II der Dialoge, Kapitel 8
GREGOR: In jener Gegend hatte sich bereits weit und breit die Liebe zu unserem Herrn und Gott Jesus Christus entzündet. Viele verließen das Treiben der Welt und beugten unter das sanfte Joch des Erlösers [vgl. Mt 11,30]. Die Schlechten aber beneiden immer die anderen um die Frucht der Tugend, um die sie sich selbst nicht mühen.
So verhielt es sich auch mit Florentius, dem Priester einer benachbarten Kirche, dem Großvater unseres Subdiakons Florentius. Von der Bosheit des Alten Feindes angestachelt, war er eifersüchtig auf das Wirken des heiligen Mannes. Er fing an, dessen Mönchsleben zu verleumden und, wenn er eben konnte, jeden von einem Besuch bei ihm abzuhalten.
Florentius musste schließlich einsehen, dass er dem Ansehen Benedikts nicht entgegenwirken konnte. Der gute Ruf von dessen Mönchsleben verbreitete sich immer mehr, und unablässig fühlten sich viele durch die Kunde über ihn zu einer besseren Lebensgestaltung gerufen. Florentius aber verzehrte sich mehr und mehr in der Flamme des Neides und wurde immer boshafter; denn das Lob für die Lebensweise Benedikts hätte er gern selbst eingeheimst, aber ein lobenswertes Leben führen wollte er nicht.
Blind vor finsterem Neid ging er so weit, dem Diener des allmächtigen Gottes vergiftetes Brot zu senden, als wäre es gesegnetes Brot. Mit einem Dankgebet nahm es der Mann Gottes an, doch blieb ihm nicht verborgen, welches Unheil sich darin verbarg.
Zur Stunde der Mahlzeit flog immer ein Rabe aus dem nahen Wald herbei und erhielt Brot aus der Hand Benedikts. Der Rabe kam nun wie üblich; der Mann Gottes warf ihm das Brot vor, das der Priester ihm geschickt hatte, und trug ihm auf: »Im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Nimm dieses Brot und wirf es an einer Stelle weg, wo es kein Mensch findet!« Da sperrte der Rabe seinen Schnabel auf, spreizte seine Flügel und hüpfte krächzend um das Brot herum, als müsste er deutlich machen, dass er zwar gehorchen wolle, den Befehl aber nicht ausführen könne. Wieder und wieder befahl ihm der Mann Gottes: »Heb es auf, heb es ruhig auf und wirf es dort weg, wo niemand es finden kann!« Nach langem Zögern fasste es der Rabe endlich mit dem Schnabel, hob es auf und flog davon.
Drei Stunden später kam er ohne das Brot zurück und erhielt nun wie gewohnt aus der Hand des Mannes Gottes sein Futter.
Der ehrwürdige Vater sah, dass ihm der Priester nach dem Leben trachtete, und er litt mehr um ihn als um sich.
Da Florentius den Leib des Meisters nicht töten konnte, setzte er alles daran, die Seelen der jünger zu verderben. So schickte er in den Garten des Klosters sieben nackte Mädchen. Sie sollten sich an den Händen halten und längere Zeit vor den Augen der Brüder tanzen, um deren Herzen zur Wollust zu entfachen.
Das sah der heilige Mann von seiner Zelle aus, und er fürchtete sehr, die noch ungefestigten jünger könnten zu Fall kommen. Er erkannte, dass der Priester eigentlich nur ihm nachstellte.
Da überließ er dem Neid das Feld. Er ordnete alles in den Klöstern, die er gegründet hatte, setzte Obere ein und wies ihnen Brüder zu. Nur wenige Mönche nahm er mit und zog an einen anderen Ort.
Kaum war der Mann Gottes in Demut vor dem Hass des anderen gewichen, da schlug diesen der allmächtige Gott furchtbar.
Der Priester stand auf seinem Balkon, sah, wie Benedikt fortzog, und triumphierte vor Freude. Da stürzte der Balkon ein, auf dem er stand, erschlug ihn und vernichtete so den Feind Benedikts; das ganze Haus blieb sonst unbeschädigt stehen.
Der heilige Vater Benedikt war noch nicht ganz zehn Meilen entfernt; da wollte Maurus, der jünger des Mannes Gottes, ihm dies sofort mitteilen: »Komm zurück! Der Priester, der dir nachgestellt hat, ist vernichtet.«
Als der Mann Gottes Benedikt das hörte, begann er bitter zu klagen, weil sein Feind umgekommen war, aber auch, weil der jünger über den Tod des Feindes jubelte. Deshalb legte er dem jünger eine Buße auf; denn er hatte es gewagt, als er die Nachricht überbrachte, sich über den Untergang des Feindes zu freuen. [Vgl. Sir 8,8 (Vulg.)]
Erfüllt vom Geist der Gerechten
PETRUS: Wunderbar und höchst erstaunlich ist, was du er zählst. Das Wasser, das aus dem Felsen strömt, erinnert mich an Mose [vgl. Num 20,7-11]; das Sichelmesser, das aus der Tiefe des Wassers emporkommt, an Elischa [vgl. 2Kön 6,5-7]; das Gehen über das Wasser an Petrus [vgl. Mt 14,28-29]; das Gehorchen des Raben an Elija [vgl. 1Kön 17,4-6]; die Trauer über den Tod des Feindes an David [vgl. 2Sam 1,11-12]. Wenn ich all das erwäge: Dieser Mann war erfüllt vom Geist aller Gerechten.
GREGOR: Petrus, gib acht! Der Mann Gottes Benedikt besaß den Geist des Einen, den Geist dessen, der die Gnade der Erlösung schenkt und die Herzen aller Berufenen erfüllt. Von ihm sagt Johannes: »Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt« [vgl. Joh 1,9]. Und weiter: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen« [vgl. Joh 1,16].
Die Heiligen Gottes können Wunderkräfte vom Herrn empfangen, nicht aber anderen weitergeben. Er gab denen, die sich ihm unterwarfen, Zeichen der Wunderkraft, denen, die sich ihm widersetzten, wollte er aber nur das Zeichen des Jona geben [vgl.Mt 12,39; 16,4]; er will in den Augen der Hochmütigen sterben, in den Augen der Demütigen auferstehen, damit die einen sehen, was sie verachten, die anderen, was sie verehren und lieben.
Aus diesem Geheimnis ergibt sich, dass die Stolzen im Tod nur die Schmach sehen, die Demütigen dagegen den Tod als Ruhm Seiner Macht erkennen.
PETRUS: Lass mich nun bitte wissen, wohin der heilige Mann gezogen ist und ob er auch dort Wunder getan hat.
Ein befestigter Ort mit Namen Casinum liegt am Abhang eines hohen Berges.