Papst Gregor erzählt
Wasser aus dem Felsen
Buch II der Dialoge, Kapitel 5
Drei Klöster, die Benedikt in dieser Gegend errichtet hatte, lagen weit oben in den Felsen des Gebirges. Für die Brüder war es sehr mühsam, jedes Mal zum See hinabzusteigen, um Wasser zu schöpfen. Vor allem die steil abfallende Bergwand war sehr gefährlich und machte ihnen beim Abstieg Angst.
So kamen die Brüder aus diesen drei Klöstern gemeinsam zum Diener Gottes Benedikt. Sie sagten: »Es ist sehr mühsam für uns, jeden Tag zum See hinabzusteigen, um Wasser zu holen. Die Klöster müssen unbedingt von dort verlegt werden.«
Benedikt tröstete sie liebevoll und entließ sie. In der folgenden Nacht stieg er mit dem jungen Placidus – ich habe ihn bereits erwähnt – auf die Felsenhöhe. Dort betete er sehr lange. Nach dem Gebet legte er an dieser Stelle als Erkennungszeichen drei Steine übereinander. Dann kehrte er in sein Kloster zurück, ohne dass dort oben jemand etwas bemerkt hatte.
Am anderen Tag kamen die Brüder wegen der Mühsal des Wasserholens wieder zu ihm.
Benedikt sagte: »Geht! Wo ihr drei aufeinandergelegte Steine findet, dort höhlt den Felsen ein wenig aus. Der allmächtige Gott kann doch auch auf jenem Berggipfel Wasser hervorsprudeln lassen, um euch die Mühsal des Weges zu ersparen.«
Sie stiegen wieder hinauf und fanden den Felsen, den Benedikt gekennzeichnet hatte. Da er schon feucht wurde, schlugen sie ein Loch, das sich sofort mit Wasser füllte. Das Wasser floss so stark, dass es bis heute reichlich hinabströmt und sich vom Gipfel des Berges ins Tal ergießt.
Das Eisen aus der Tiefe des Wassers
Buch II der Dialoge, Kapitel 6
Ein anderes Mal kam ein einfältiger Gote zu ihm, der Mönch werden wollte. Benedikt, der Mann Gottes, nahm ihn liebevoll auf.
Eines Tages ließ er ihm ein Werkzeug geben, das man wegen seiner Form Sichelmesser nennt. Er sollte damit an einer bestimmten Stelle das Dornengestrüpp aushauen, um dort einen Garten anzulegen; die Rodung lag unmittelbar über dem Seeufer.
Als der Gote das Dornendickicht mit aller Kraft auszuhauen versuchte, sprang die Klinge vom Stiel und fiel in den See. Dort war aber das Wasser so tief, dass es aussichtslos schien, das Werkzeug herauszuholen.
Da die Klinge verloren war, lief der Gote zitternd vor Angst zu dem Mönch Maurus, meldete den Schaden, den er angerichtet hatte, klagte sich an und tat Buße. Der Mönch Maurus jedoch ließ es Benedikt, den Diener Gottes, sofort wissen. Als der Mann Gottes, Benedikt, das hörte, ging er hin, nahm dem Goten den Stiel aus der Hand und hielt ihn in den See. Sogleich kam die Klinge aus der Tiefe empor und fügte sich wieder an den Stiel.
Benedikt gab dem Goten das Werkzeug zurück und sagte: »Geh wieder an deine Arbeit und sei nicht traurig! «
Der Gang über das Wasser
Buch II der Dialoge, Kapitel 7
Eines Tages weilte der heilige Benedikt in seiner Zelle. Der schon erwähnte junge Placidus aus dem Kloster des heiligen Mannes ging an den See, um Wasser zu holen. Aus Unachtsamkeit ließ er das Gefäß, das er in Händen hielt, ins Wasser fallen und stürzte sogar selbst hinein. Sogleich erfasste ihn eine Woge und riss ihn etwa einen Pfeilschuss weit vom Ufer weg.
Doch der Mann Gottes erkannte das sofort in seiner Zelle und rief Maurus eilends herbei: »Bruder Maurus, lauf schnell! Der Knabe ist beim Wasserholen in den See gefallen, und eine Woge treibt ihn schon weit hinaus! «
Etwas Wunderbares geschah, wie man es seit dem Apostel Petrus [vgl. Mt 14,28.29] nicht mehr erlebt hatte. Maurus erbat und empfing den Segen, lief auf Befehl seines Abtes sofort bis zu der Stelle, wo die Woge den Knaben Placidus dahintrieb. Er glaubte auf festem Boden zu gehen und lief doch über das Wasser. Da packte er ihn an den Haaren und lief zurück, so schnell er konnte. Kaum war er am Ufer, kam er zu sich, blickte zurück und erkannte, dass er über das Wasser gelaufen war. Was er niemals für möglich gehalten hätte, war zu seiner Verwunderung und Bestürzung geschehen.
Er kam zum Abt zurück und erzählte, was sich ereignet hatte. Der heilige Mann Benedikt aber schrieb das nicht seinem eigenen Verdienst zu, sondern dem Gehorsam des anderen. Maurus jedoch behauptete, es sei nur auf Befehl Benedikts geschehen; er sei sich dabei keiner eigenen Kraft bewusst gewesen und habe unbewusst gehandelt. Diesen freundschaftlichen Wettstreit beider in der Demut entschied der gerettete Knabe. Er sagte: »Als ich aus dem Wasser gezogen wurde, sah ich über meinem Kopf den Umhang des Abtes, und für mich war er es, der mich aus dem Wasser zog.«
PETRUS: Was du erzählst, ist bedeutungsvoll und wird viele erbauen. je länger ich von den Wundertaten des Gerechten höre, desto mehr möchte ich davon erfahren.