Buch der Daloge von Papst Gregor
Der grausame Gote
Buch II der Dialoge, Kapitel 31
Ein Gote, der Zalla hieß, gehörte dem arianischen Irrglauben an. Zur Zeit des Gotenkönigs Totila wütete er mit unmenschlicher Grausamkeit gegen die gottgeweihten Männer der katholischen Kirche. Sooft ihm ein Kleriker oder Mönch unter die Augen kam, konnte er seinen Händen nicht lebend entrinnen. Eines Tages riss ihn die Glut der Habgier hin; auf der Jagd nach Beute folterte er grausam einen Bauern und misshandelte ihn mit ausgesuchten Peinigungen. Unter dem Druck der Qualen erklärte der Bauer, er habe seinen Besitz dem Diener Gottes Benedikt übergeben. Denn er hoffte, dass der Peiniger das glaubte und von der Grausamkeit ablasse. So wollte er Zeit gewinnen, um am Leben zu bleiben.
Da hörte Zalla endlich auf, den Bauern zu foltern; er fesselte seine Arme mit festen Riemen und trieb ihn vor seinem Pferd her. Er solle ihm diesen Benedikt zeigen, der sein Eigentum erhalten habe. Mit gebundenen Armen ging der Bauer voran, führte ihn zum Kloster des heiligen Mannes und traf ihn dort an. Benedikt saß allein vor dem Eingang des Klosters und las. Der Bauer sagte zu Zalla, der ihm wütend folgte: »Siehe, da ist er, von dem ich gesprochen habe, der Vater Benedikt.«
Wutentbrannt und in heilloser Verblendung blickte Zalla ihn an. Er glaubte wie immer, durch Einschüchterung sein Ziel zu erreichen. Mit lauter Stimme schrie er: »Auf! Steh auf und gib her, was du von diesem Bauern bekommen hast! «
Auf dieses Geschrei hin blickte der Mann Gottes sogleich von seiner Lesung auf, schaute ihn an und wurde auch auf den gefesselten Bauern aufmerksam. Kaum hatte er die Augen auf dessen Arme gerichtet, da fielen die Fesseln auf wunderbare Weise so schnell ab, wie Menschen sie so rasch nie hätten lösen können.
Der gebunden gekommen war, stand plötzlich befreit da; zitternd vor der Kraft solcher Vollmacht, stürzte Zalla zu Boden. Er ließ von seiner rohen Grausamkeit und beugte seinen Nacken; er warf sich Benedikt zu Füßen und empfahl sich seinem Gebet. Der heilige Mann aber erhob sich nicht von der Lesung, sondern rief Brüder und ließ ihn ins Kloster hineinführen, um ihm gesegnetes Brot anzubieten. Als er zu ihm zurückgebracht wurde, ermahnte er ihn, von seiner heillosen Grausamkeit abzulassen. Tief erschüttert ging Zalla fort und wagte nicht mehr, von dem Bauern etwas zu fordern, den der Mann Gottes nicht durch Berührung, sondern durch einen Blick befreit hatte.
Das ist es, Petrus, was ich behauptet habe: Wer dem allmächtigen Gott in vertrauter Freundschaft dient, kann manchmal sogar aus Vollmacht Wunder wirken. Wenn einer die Wildheit des brutalen Goten sitzend bezwang, ja die Riemen und Knoten, mit denen die Arme des Unschuldigen gefesselt waren, durch einen Blick löste, dann zeigt sich schon in der Schnelligkeit des Wunders, dass er aus Vollmacht wirken konnte. Ich will aber auch erzählen, welch ein großes Wunder er durch Gebet erlangen konnte.
Die Erweckung des toten Knaben
Buch II der Dialoge, Kapitel 32
Eines Tages war Benedikt mit den Brüdern zur Feldarbeit hinaus gegangen. Da kam ein Bauer zum Kloster und trug seinen toten Sohn auf den Armen. Von Trauer über den Verlust aufgewühlt, fragte er nach dem Vater Benedikt. Als man ihm sagte, er sei mit den Brüdern auf dem Feld, legte er den Leichnam seines Sohnes vor den Eingang des Klosters, und von Schmerz verstört, stürzte er davon, um den ehrwürdigen Vater zu suchen.
Zur selben Stunde war der Mann Gottes mit den Brüdern schon auf dem Heimweg von der Feldarbeit. Sobald der Bauer, der seinen Sohn verloren hatte, Ihn sah, schrie er: »Gib mir meinen Sohn zurück, gib mir meinen Sohn zurück! «
Bei diesem Aufschrei blieb der Mann Gottes stehen und sagte: »Habe denn ich dir deinen Sohn genommen?«
Jener erwiderte ihm: »Er ist tot! Komm, mach ihn wieder lebendig! «
Als der Diener Gottes dies hörte, wurde er sehr traurig und sagte: »Geht, liebe Leute, geht! Das ist nichts für uns, sondern für die heiligen Apostel. Warum wollt ihr uns Lasten aufbürden, die wir nicht tragen können?«
Heftiger Schmerz aber drängte den Bauern, so dass er nicht von seiner Bitte abließ; er beteuerte, erst dann fortzugehen, wenn Benedikt seinen Sohn wieder lebendig gemacht habe. Da fragte ihn der Diener Gottes: »Wo ist er?« jener antwortete: »Sein Leib liegt vor dem Eingang des Klosters.«
Als der Mann Gottes mit den Brüdern dort angekommen war, kniete er nieder und legte sich über den kleinen Leib des Kindes; dann richtete er sich auf, erhob die Hände zum Himmel und betete: »Herr, schau nicht auf meine Sünden, sondern auf den Glauben dieses Mannes, der darum bittet, dass sein Sohn auferweckt werde, und gib diesem kleinen Leib die Seele zurück, die du ihm genommen hast.«
Kaum hatte er das Gebet beendet, da kam das Leben zurück und der kleine Knabe begann am ganzen Leib zu beben. Alle Anwesenden sahen mit eigenen Augen, wie er auf wunderbare Weise sich regte und bewegte. Sogleich fasste Benedikt den Knaben an der Hand und gab ihn seinem Vater lebend und gesund zurück.
Dieses Wunder, Petrus, tat er offensichtlich nicht aus Vollmacht, da er kniefällig darum bat, es wirken zu können.
PETRUS: Offenkundig verhält sich alles so, wie du es darstellst, denn deine Worte belegst du mit Tatsachen. Aber erkläre doch, ob heilige Männer alles können, was sie wollen, und alles erreichen, was sie zu erhalten wünschen.